Engel der Elemente 3



Engel der Elemente lll
Gestohlene Magie

Sophie  R. Nikolay

Prolog

Rufus starrte auf den Bildschirm. Vor nicht mal einer halben Stunde hatte er die Mail an die Engel abgeschickt. Nun war die Verbindung abgebrochen und baute sich nicht wieder auf, egal was er auch versuchte. So sehr er sich Anfangs gegen die moderne Technik gewehrt hatte, inzwischen fand er sie nützlich und hatte sich gut eingearbeitet.
Leider wies nicht nur der Computer einen Verbindungsfehler auf, auch der Mobilfunk und die Telefonleitungen waren tot. Selbst wenn jemand seinen Hilferuf beantwortet hatte, kam er nicht daran. So blieb er im Ungewissen, ob die Engel und ihre Partner nach Amsterdam kommen würden.
Rufus blickte auf und sah in das Gesicht seiner Frau. Sie wirkte in etwa so, wie er sich fühlte. Müde und schlaff - kraftlos, antriebslos. Er hätte nie gedacht, dass er sich einmal so hilflos vorkommen würde. Ohne seine Magie war er nichts weiter als ein Mann, der zwar sehr alt, aber sonst keinerlei Besonderheiten aufwies. Die Stunden, seit jede Hexe in dieser Stadt ihre Kraft verloren hatte, kamen ihm vor, wie ein schlechter Traum. Doch dem war leider nicht so.
Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, er glich in seinem aktuellen Zustand dem eines Menschen. Der Vergleich hinkte, denn die Menschen in dieser Stadt kamen ihm noch deutlich kraftvoller vor, als er es war. Er, der Meister der Hexen, war nur noch ein Schatten seiner Selbst …
Nun betete er zu den Göttern, dass die Engel seine Nachricht bekommen  und es schaffen würden, in die Stadt zu kommen. Er selbst hatte das dämonische Feuer gesehen und das Einzige, das ihm blieb, war die Hoffnung.

1

Valerian ließ den Blick über die Feuerwand gleiten und sah anschließend zu Raven.
„Naja, einfach hindurch spazieren können wir wohl kaum. Die Kräfte von Isa und Lisa sind kontraproduktiv, wie wir wissen. Magie ist ebenfalls nutzlos gegen das Höllenfeuer … bleibt nur, dass du dich vielleicht noch mal als Brückenbauerin betätigst“, zählte er auf.
Raven zog die Brauen hoch. „Eine Brücke? Über diese Wand, die aussieht, als wäre sie gut und gerne vier Meter hoch?“
„Hast du eine andere Idee?“
Raven grunzte. Sie standen mit dem Wagen etwa fünfzig Meter vor dem Hindernis, welches die Stadt einkesselte. Amsterdam war von der Außenwelt abgeschnitten und Raven bezweifelte, dass eine Brücke die Lösung wäre. Sie stieg aus und sah, dass auch die anderen ihre Autos verließen. Jeder starrte auf das Feuer und in mehr als einem Gesicht lag Ratlosigkeit.
„Hat jemand einen Vorschlag, wie wir da reinkommen?“, rief Basti über das Autodach hinweg.
Isa zog Lisa, die neben ihr stand, in den Arm. „Wir fallen aus. Was das Eis mit dem Feuer anstellt, haben wir mehr als einmal gesehen.“
Val schlug die Autotür zu. „Aber wenn Raven, wie in dieser Hütte, eine Brücke über das Feuer baut, könntet ihr sie kühlen.“
Raven blickte weiterhin skeptisch drein. Charlotte stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete die Feuerwand. Schließlich drehte sie sich um. „Unsere Kräfte sind identisch, wenn wir nun zusammen eine Brücke hochziehen?“
„Ich weiß nicht.“ Raven zuckte mit den Schultern.
„Val, hast du einen Stadtplan? Wir sollten mal nachsehen, was auf der anderen Seite ist. Für eine Brücke brauchen wir Platz“, warf Basti ein.
„Hab ich, auf dem Notebook.“ Val zog besagtes Gerät von der Rückbank, platzierte es auf dem Autodach und klappte es auf. Leichtes Stirnrunzeln verriet allen, dass er nicht zufrieden war, mit dem was er sah.
„Netzwerkverbindungen gibt’s hier keine“, sagte er nach einem Moment.
„Und Mobilfunk auch nicht“, ergänzte Steph und hielt sein Handy hoch.
„Da kann sich der Hexenmeister aber glücklich schätzen, dass uns sein Hilferuf noch erreicht hat.“ Raven wuschelte sich nachdenklich durch die brauen Haare, die inzwischen ein ganzes Stück gewachsen waren. Der kinnlange Bob gehörte der Vergangenheit an.
„Zum Glück habe ich die Karte auf der Platte“, murmelte Val und versank in die Ansicht des Displays.
Während er den Stadtplan studierte, machte Basti das gleiche mit der Feuerwand. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussah, war für jeden Umstehenden erkennbar, was er tat. Mit geschlossenen Augen war er dem Hindernis zugewandt. Die Arme hingen locker herab, doch die Handflächen wiesen nach vorne, zum Feuer hin. Minutenlang geschah nichts und bis auf die sichtbare Atmung stand er unbewegt. Als er sich schließlich umdrehte, sah er nicht sehr zuversichtlich aus.
„Die dämonische Kraft, die diesen Ring aufrecht erhält, ist unglaublich stark. Nichts kann sie durchdringen. Noch nicht mal ein Hauch meiner Magie durchbricht die Oberfläche. Es kommt auch nichts von innen. Keine Gedanken, keine Signale – gleich welcher Art.“
„Und was bedeutet das?“, hakte Steph nach.
„Die Brücke wäre ein Versuch, sofern sich ein guter Standort finden lässt. Andernfalls müssen wir uns etwas Neues einfallen lassen“, meinte Basti.
Edna lachte sarkastisch auf. „Ha! Und was wäre das, Brüderchen?“
„Was weiß ich!“ Er zuckte mit den Schultern.
Edna verdrehte die Augen. Anthony legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Fangt nicht an zu streiten. Wenn Val eine gute Stelle für die Brücke findet, kann ich vielleicht als Verstärker dienen.“
„Glaubst du, das wäre eine gute Idee? Ich meine, wenn du die Kraft aus dir heraus lässt, ist sie ja nicht hundertprozentig lenkbar. Da finde ich die Variante, dass Charlie und ich Stein für Stein setzen, eindeutig besser. Die Konstruktion muss uns alle tragen. Das wird kein Kinderspiel und wir müssen gemeinsam drüber“, warf Raven ein, während Charlotte über die Abkürzung ihres namens die Nase rümpfte.
„Warum müssen wir zusammen gehen?“Anthony sah verständnislos zwischen ihr und Edna hin und her.
„Das wird sicher nicht wie in der Hütte werden. Das Feuer ist schätzungsweise vier Meter hoch. Folglich sollte die Brücke mindestens sechs Meter sein, damit Isa und Lisa mit ihrem Eis für ausreichend Kühlung sorgen können. Da wir nicht wissen, wie stark die dämonische Kraft ist, müssen wir uns beeilen und möglichst zusammen rüberkommen.“
„Ich hab was!“, unterbrach Val die Überlegungen. „Wenn wir ein Stück weiter fahren, kommt eine Stelle, an der wir die Brücke an eine Straße koppeln können, die relativ breit ist. Keine Häuser links und rechts.“
„Okay, fahr vor“, bat Stephan und stieg in sein Auto ein.

Keine fünf Minuten später waren sie an dem Punkt angekommen, den Valerian als den besten zum Brückenbau auserkoren hatte. Die Autos waren kaum geparkt, da stiegen Raven und Charlotte schon aus. Die Umgebung war, wie die vorherige Örtlichkeit, sehr eben.
„Was meinst du, lässt sich genug Masse auftreiben?“ Raven sah ihre Halbschwester von der Seite an.
„Das wird kein Problem sein. Ich hab schon Felsbrocken aus dem Nichts geschaffen. Was ich mich allerdings frage, ist folgendes: Wie bauen wir? Ein langer Anstieg oder mit Stufen?“ Sie drehte sich um. „Ich glaube, von den Autos müssen wir und verabschieden, die mit rein zu bekommen, scheint ziemlich unmöglich.“
Raven nickte. „Das glaube ich auch. Das Gepäck schultern und zu Fuß über die Konstruktion. Ich wäre für Stufen, weil die Strecke dann nicht so lang wird.“
Charlotte betrachtete die züngelnden Flammen, schürzte die Lippen und zuckte anschließend mit den Schultern. „Probieren wir es aus. Verstärken können wir immer noch …“
Die Worte waren noch nicht verhallt, da streckte sie auch schon die Hände nach vorne. Ihre Zeichnungen auf der Haut, die vom Gebrauch ihrer Kraft zeugten, waren deutlich erkennbar. Sie trug weit mehr davon als Raven. Sie beide hatten die Besonderheit von ihrem Vater, dem Erdgott Kidor, geerbt. Sobald sie ihre göttliche Kraft einsetzten, bildeten sich Zeichnungen auf ihrer Haut. Bei Raven hatte es am Fußrücken begonnen, nachdem sie von Paris zurückgekehrt waren, waren auch ihre Handrücken und ein Stück der Unterarme mit den Symbolen überzogen.
Für Charlie schien es ein Leichtes, die Erde zu beeinflussen. Es bildeten sich Risse in der Oberfläche, schließlich knirschte und rumpelte es, als sich ein Stück des Bodens erhob. Die Fläche umriss etwa einen Quadratmeter. Als sich das zweite Stück in Bewegung setzte, erkannte Raven, was Charlie plante. Wieder schob sich eine große Fläche nach oben, diesmal doppelt so hoch, wie die erste. Das Fundament der Stufen wuchs aus dem Boden.
Raven konzentrierte sich und schritt auf das Gebilde zu. Sie legte ihre Handflächen auf das weiche Gras und wunderte sich nicht, dass die Ränder der Fläche wie abgeschnitten wirkten. Sie genoss es, die Kraft in sich zu spüren und sie zu nutzen. Nur durch ihren Willen veränderte sich der Boden. Aus Sand und Gras wurde Stein. Raven ließ die Fläche nicht eben – als sie ihre Hände löste, waren drei Stufen aus Stein entstanden. Sie blickte auf, sah nach Charlie, die sie jedoch nicht beachtete. Ihre Plattformen aus Erdboden schienen wie Pfeiler, die man aus der Erde gedrückt hatte, damit sie wie Orgelpfeifen aufgereiht dastanden. Wurzelwerk und Steine waren durchtrennt, die Wände glatt. Der Abstand zum Feuer hatte sich schon um einiges verringert.
„Nur noch eine, das ist nahe genug“, bat Raven. Charlotte nickte nur, drehte sich weder um noch erwiderte sie etwas.
Das Stück, welches sie gerade hob, war den anderen gleich. Etwa ein Quadratmeter Fläche. Scheinbar widerstandslos fügte sich der Boden und erhob sich bis fast an die Oberkante des Feuers.
Raven hörte, wie Leander hinter ihr spekulierte, ob die Erde unter den ansteigenden Pfeilern hohl sei. Im gleichen Moment, in dem sie antworten wollte, erwiderte Layla, dass er sich keine Sorgen machen bräuchte. Raven blendete die Unterhaltungen aus und konzentrierte sich erneut. Charlotte kam zu ihr und gemeinsam erklommen sie die ersten drei Stufen.
Mit vereinter Kraft entstanden auf den Plattformen vor ihnen in sekundenschnelle Stufen.
Es scheint tatsächlich zu funktionieren!, dachte sie. Das letzte Podest verwandelte sich, als sie ihre Hände auf das Gras legten. Die Stufen hinauf waren geschafft. Nun folgte der schwierigste Teil. Der Überweg.

Isa und Lisa standen nahe der Feuerwand parat. So nahe, wie es die Hitze ihnen ermöglichte. Gerade waren die letzten drei Stufen entstanden und gebannt sahen sie zu, wie sich aus unsichtbarer Quelle Felsbrocken zu einem Weg formierten.
„Ihr kommt besser rauf“, rief Charlie zu ihnen herunter.
Gesagt, getan.
Im Gleichschritt erklommen die Zwillinge die Stufen, bis sie hinter Raven und Charlie standen.
„Jetzt schon Eis oder ist das alles noch zu instabil?“, erkundigte sich Isa.
„Lieber noch nicht. Selbst wenn der Weg hält, brauchen wir einen Abstieg, der die Steine hält und stabilisiert. Mit dem Eis wird es sicher zu schwer“, entgegnete Raven.
„Okay. Wir warten. Und sobald ihr fertig seid, kümmern wir uns um die Kühlung.“
Stein für Stein fügte sich an, während die Töchter des Wassergottes Arthemis tatenlos auf der obersten Stufe standen. Raven und Charlie bauten ohne Unterbrechung weiter. Die Hitze schien sie kaum zu stören. Langsam wurde der Bogen sichtbar, den der Weg über die Flammen machte. Isa schätzte, sie hatten fast den Punkt genau über der dämonischen Wand erreicht. Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, begann der Boden zu beben. Es knirschte und die Konstruktion begann zu schwanken.
„Runter!“, schrie Lisa und hechtete die Treppe herunter. Isa starrte auf Raven und Charlie, die mit entsetzten Minen auf sie zukamen. Isa sah das Unheil kommen, ehe es geschah. Die Steine unter den beiden wankten gefährlich. Der Weg sah aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Isa ging auf die Knie, darauf bedacht, neben sich Platz zu lassen.
Nur einen Wimpernschlag später gab der Weg nach. Charlie sprang und traf die oberste Stufe, während Raven diese nur knapp verfehlte. Isa hatte die Arme ausgestreckt und bekam Ravens Hände zu packen, dennoch knallte diese mit voller Wucht gegen den Pfeiler und schrie auf. Isa ächzte, als ihr Brustkorb gegen die Stufe gepresst wurde. Sie nahm einen tiefen Atemzug und sammelte Kraft. Anschließend zog sie Raven zu sich herauf. Der Zusammenstoß mit dem Stein hatte unschöne Folgen, denn Ravens Stirn wurde von einer Platzwunde verziert. Auch die Knie hatte sie sich aufgeschlagen, das Blut sickerte durch die Jeans.
„Danke“, keuchte sie, als sie auf der Stufe Halt fand.
„Immer wieder gerne – du hättest genauso gut fliegen können. Ich dachte, Charlie schafft‘s nicht.“
Raven grunzte nur und ließ sich von Isa die Stufen hinunter ziehen.

Von Entsetzen und Schreck gezeichnete Gesichter erwarteten sie am Fuß der Treppe. Layla war sofort zur Stelle und kümmerte sich um Raven.
„Ich gebe zu, die Brücke war die blödeste Idee, die ich haben konnte“, brummte Val.
„Besser, als gar keine.“ Christoph schlug ihm tröstend auf die Schulter. Die Fahrt über war er ziemlich still gewesen, was Val nicht weiter verwunderte. Der Kerl hatte seinen Geliebten zurücklassen müssen. Er selbst konnte sich nicht vorstellen, auch nur einen Tag ohne Raven zu sein! Nun stand sie da und wurde von Layla geheilt und das nur, weil er das mit der Brücke vorgeschlagen hatte. Wie hatte er nur annehmen können, das bliebe unbemerkt? Die Feuerwand war schließlich dazu da, Eindringlinge abzuwehren.
„Sagt mal – so Scheiße das gerade auch gelaufen ist – wer sagt denn eigentlich, dass wir über dieses Hindernis müssen? Können wir nicht auch untendrunter durch?“, warf Anthony ein.
„Ich hätte von allen am wenigsten Probleme, in die Stadt zu kommen. Was meint ihr, kämen die Engel und Anthony ebenfalls fliegend da drüber?“, fragte Leander. Er, der sich in kleinste Moleküle auflösen konnte, hatte natürlich am Wenigsten ein Problem, über das Feuer zu kommen …
„Ach, und was ist mit uns?“, murrte Chris und meinte jeden anderen, der weder fliegen noch sich auflösen konnte.
„Sollte es funktionieren, dass die Engel oder Anthony das Feuer überwinden können, könnt ihr ‚Huckepack‘ mitfliegen“, erklärte Leander geduldig.
„Nicht mit mir! Ich fliege mit niemandem mit!“, wehrte Sam entschieden ab.

Es entbrannte eine wilde Diskussion, in der jeder den nach seiner Ansicht besten Weg in die Stadt vehement vertrat. Raven, der es dank Laylas Gabe deutlich besser ging, hörte eine Zeit lang zu, ehe ihr der Geduldsfaden riss und sie durch die Finger pfiff.
„Genug!“, rief sie laut. „Wir sind doch hier nicht auf dem Pausenhof.“
Betretenes Schweigen machte sich breit. „Ich bin nicht bereit, dass einer von uns vorschnell das Risiko eingeht, über die Wand zu fliegen – auch nicht in großer Höhe und schon gar nicht mit ‚Gepäck‘. Was Anthony vorgeschlagen hat, nämlich untendrunter durch zu kommen, wäre eine Option. Sollte das nicht funktionieren, können wir immer noch überlegen, ob wir den Flug wagen.“
„Raven, ich bin anderer Meinung. Ich würde zuerst austesten, ob das Fliegen möglich ist. Es würde ja reichen, wenn Anthony und ich es versuchen“, widersprach Edna.
Raven verdrehte die Augen.
„Ich weiß, es ist schwer, so viele Meinungen unter einen Hut zu bekommen, aber etwas müssen wir tun. Wir helfen weder den Magischen noch den Menschen da drin, wenn wir hier draußen sind. Wir haben gesehen, was mit der Brücke passiert ist. Was ist, wenn der Tunnel auch zum Einsturz gebracht wird? Das geht nicht so glimpflich aus. Folglich bin ich – so ungern ich fliege – Ednas Meinung. Lasst sie es versuchen“, mischte sich Sam ein.
„Theoretisch klingt das ja nicht schlecht, aber wie stellt ihr euch das praktisch vor?“ Chris runzelte die Stirn und sah fragend in die Runde.
„Isa, Raven und Layla nehmen ihren Mann mit rüber. Lisa und ich nehmen dich und Basti mit. Leander hat das leichteste Spiel und Anthony kann Charlie mitnehmen“, zählte Edna auf.
„Aha.“ Er sah weiterhin kritisch aus.
„Wir sollten erst mal sehen, ob es überhaupt geht, ehe wir Pläne schmieden, wer mit wem fliegt.“ Anthony zog seine Jacke aus und entfaltete seine Schwingen. Edna grinste, zog sich den Pulli über den Kopf und entließ ihre Flügel. Sie sahen sich kurz an, dann erhoben sie sich in die Luft.

Val beobachtete die beiden, die beinahe im Gleichklang mit den Flügeln schlugen. Sie stiegen fast doppelt so hoch wie die Flammen und es sah so aus, als ob sie diese problemlos passieren könnten. Doch dem war leider nicht so. Kaum hatten sie die Line erreicht, schossen die Flammen blitzschnell nach oben und versperrten den Weg. Der Schreck über das unerwartete Hindernis ließ beide zurücktaumeln. Nur einen Sekundenbruchteil später hätte es sie erwischt.
Anthony sagte etwas zu Edna. Val hatte ihn nicht verstehen können, sah aber kurz darauf, was es gewesen sein musste. Sie flogen nun getrennt. Anthony schneller als Edna und ein Stück höher. Das Spiel wiederholte sich – die Flammen schlugen hoch, sobald sie erreicht wurden. Bei Anthony wie auch bei Edna. Es wäre müßig, einen weiteren versuch zu wagen … wohl aus diesem Grund kehrten sie um und kamen zu der Gruppe zurück.
„Das war ja dann wohl nix …“, kommentierte Basti. „So `ne Scheiße!“
Isa verkniff sich ein Grinsen. „Einen positiven Aspekt hat es: Mein Sam muss nicht fliegen.“
Der Vampir tat so, als habe er die Bemerkung nicht gehört und wandte sich an Anthony. „Also doch ein Tunnel?“
„Ich wüsste nicht, was sonst. Allerdings wäre ich dafür, das zu verschieben. Es dämmert bald und ich glaube nicht, dass es eine gute Idee wäre, gerade in der Nacht zu versuchen, in die Stadt zu kommen.“ Anthony erntete allgemeine Zustimmung.
„Schlafen wir im Auto oder suchen wir uns ein Bett für die Nacht?“, fragte Charlotte, die zu denen gehörte, die Schlaf brauchten.
„Naja, ich habe keine Ahnung, wie weit wir zurückfahren müssen, um wieder ein Signal zu bekommen. Frei Schnauze etwas suchen halte ich für zu viel Aufwand.“ Val zuckte mit den Schultern.
„Klingt super!“, ächzte Basti daraufhin.
„Hey, statt der Autos könnten wir aber versuchen, auf magische Weise an ein halbwegs bequemes Bett für euch zu kommen.“ Val sah Basti und Chris an. „Seid ihr dabei?“

Zugegeben, das war eine blöde Frage von Val gewesen. Natürlich halfen die beiden und verbanden sich magisch mit Valerian. Wo er den Zauber gelernt hatte, wollte er nicht verraten. Das war so etwas, wie die Sache mit seinem Spitznamen. Es war nicht nötig in seinen Augen, dass jeder darüber Bescheid wusste. Glücklicherweise schienen alle Anwesenden, die davon wussten, sich nicht daran zu erinnern. Zumindest hatte noch keiner ihn ‚Socke‘ gerufen – das hatte nur Mattheo getan. Dass der obendrein auch noch die Story dazu erzählt hatte, ließ Val über den Ursprung des Zeltzaubers lieber schweigen.
Chris und Basti ließen sich von Val leiten und staunten nicht schlecht, als sie die Augen wieder aufschlugen. Val hätte am Liebsten lauthals gelacht, als sie mit großen Augen das Zelt anstarrten.
„Ihr seht aus, als hättet ihr ein Weltwunder vor euch. Dabei habt ihr noch nicht mal reingesehen!“, meinte er schmunzelnd.
Auch die anderen sahen verdutzt aus. Wann taucht schon ein Zelt von der Größe eines Bungalows aus dem Nichts auf? Nun gut, es war nicht so pompös und edel ausgestattet wie es bei einem gewissen Zauberschüler der Fall war, aber das spielte auch keine Rolle. Sie befanden sich schließlich nicht am Rande einer Quidditch-Weltmeisterschaft …
Valerians Zelt war von Außen so groß wie von Innen und erinnerte eher an ein Feldlager von Soldaten. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Einrichtung. Nicht hübsch, sondern zweckmäßig. Trennwände sorgten für etwas Privatsphäre – wobei Val nur Betten für diejenigen bedacht hatte, die schlafen mussten. Die Schlafplätze waren zwar keine Feldbetten im klassischen Sinn, doch viel besser hatte er es auch nicht hinbekommen. Dicke und hoffentlich bequeme Luftmatratzen mitsamt Decken. Für alle anderen hatte er einen großen Tisch und passende Sitzmöglichkeiten entstehen lassen.
Für den Abend und die Nacht waren sie zum Nichtstun verdonnert. Das Risiko, im Dunkeln in die Stadt einzudringen, schien eindeutig zu hoch. Blieb nur, sich Gedanken zu machen, welchen Weg sie außer einem Tunnel noch versuchen könnten.

2

Am nächsten Morgen waren sie mit dieser Frage noch nicht viel weiter. Kaum war die Sonne am Horizont aufgetaucht, wuselten Raven und Charlotte unruhig hin und her. Val wusste, bei Raven lag es daran, dass ihre Kraft überschäumend war. Er nahm an, bei Charlie verhielt es sich ähnlich.
Während der Nacht hatten sie sich darauf geeinigt, es mit dem Tunnel zu versuchen. Allerdings wollten sie diesmal anders vorgehen, als bei der Treppe. Sobald Raven und Charlie ein Stück geschaffen hatten, würden Isa und Lisa dieses mit Eis verstärken. Ein doppelter Tunnel also. Val hoffte, die Götter würden ihnen beistehen, auch wenn er wusste, dass sie sich in die Geschehnisse nicht einmischen durften. Er glaubte allerdings keinen Moment daran, dass sie das Leben ihrer Töchter leichtfertig aufgaben und sie ins Verderben laufen lassen würden.

Wie schon bei ihrem letzten ‚Ausflug‘ hatte Matalina auch dieses Mal mit ihrer Fürsorglichkeit genau ins Schwarze getroffen. Dank ihr hatten sie einiges an Proviant dabei. Dass sie einen Großteil davon hier lassen mussten, ärgerte Val. Er nahm an, dass die Gefangenen in der Stadt schon bald mit Lebensmittelknappheit kämpfen mussten. Noch ärgerlicher war, dass er Raven nicht dazu bringen konnte, etwas zu essen. Sie war viel zu aufgedreht und mit leerem Magen zu starten, hielt Valerian für keine gute Idee. Nach einigem Hin und Her hatte er sie schließlich überzeugt und er beobachtete, wie sie widerwillig etwas Schwarzbrot und einen Joghurt aß. Dabei rutschte sie nervös auf ihrem hübschen Hintern herum.
Charlie wurde von der gleichen inneren Unruhe gequält. Sie lief auf und ab, während sie einen Apfel mitsamt Kerngehäuse aß. Wenig ladylike wischte sie sich anschließend die Finger an der Hose ab und sah fragend zu Raven. Die würgte mit einem trotzigen Blick zu Val das letzte Stück Brot herunter und sprang auf.
Eilig packte die Truppe alles zusammen, was sie mitnehmen wollten und konnten. Jeder bemerkte die Spannung in Raven und Charlie. Isa und Lisa hingegen, die zur direkten Unterstützung des Tunnelbaus eingespannt werden sollten, schienen die Ruhe selbst. Anthony kommentierte das mit seinem typisch neckenden: „Kühlschrank halt“, was ihm einen Rempler von Edna einbrachte.
Val schüttelte amüsiert den Kopf. Bei allem Ernst der Lage, es war einfach nur komisch. Sie alle als Familie, wo jeder seine Eigenarten hatte und die Unterschiede zwischen ihnen manchmal allzu deutlich wurden … sie waren ein perfektes Team. Wahrscheinlich hatten die Götter das beabsichtigt, als sie nach den passenden Gegenstücken für ihre Töchter suchten.

Während sie sich zu der Stelle aufmachten, die Val als beste Möglichkeit für den Tunnel auserkoren hatte, fiel sein Blick wiederholt auf Leander. Der Elf war auffällig schweigsam.
„Machst du dir Sorgen?“, sprach Val ihn an.
„Ja, auch. Vor allem aber frage ich mich, was uns da drin erwartet …“
„Du hast die Zustände in Paris im Sinn, was?“
Leander nickte.
„Sieh es positiv – viel schlimmer kann‘s ja nicht werden!“ Ein kläglicher Versuch, den Hünen aufzumuntern. Val ahnte, dass den mehr die Angst um Lisa beschäftigte, als alles andere.
„Beten wir zu den Göttern, dass dieser Einbruchversuch in die Stadt funktioniert.“
„Besser noch: problemlos funktioniert“, ergänzte Val und versuchte, zuversichtlich zu lächeln.
Sie erreichten einige eher schweigsame Minuten später das kleine Wäldchen, was sich beim näheren betrachten dann als Baumgruppe entpuppte und das Wort Wäldchen nicht verdient hatte. Charlie rieb sich die Hände, hockte sich hin und legte die Handflächen auf den schattigen Boden. Zwischen zwei dicken Stämmen begann sich die Erde zu bewegen und sie nickte zufrieden.
„Perfekt. Soweit ich es spüren kann, ist das gesamte Stück vor uns reine Erde. Keine Felsstücke oder andere Hindernisse.“
„Dann lass uns loslegen“, drängte Raven, deren überschäumende Energie fast sichtbar war. Sie trat von einem Bein aufs andere, als stünde sie unter Strom.
Charlie blickte fragend in die Runde und erntete Zustimmung. Isa und Lisa traten hinter die beiden, bereit, sofort ihre Unterstützung in Form von Eis einfließen zu lassen.

Während Charlie und Raven sich an die Arbeit machen, blieben die anderen in kurzer Distanz stehen. Sie hatten den Plan so oft durchgekaut, dass jeder wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Ginge alles nach Plan, dann würden sie Stück für Stück den Tunnel erschaffen, mit Eiswänden stärken und hindurchlaufen. Das Risiko zu warten, bis der Tunnel fertig war, schien zu groß. Das Eis würde zwar eine Zeit lang halten, doch wie lange konnte keiner mit Bestimmtheit sagen. Wenn der unterirdische Gang einstürzte, weil die Eisschicht taute, hatten sie ein Problem.
Doch es sah alles gut aus. Während Raven und Charlie unermüdlich mit den Händen die Erde vor sich berührten, um sie zurückweichen zu lassen, liefen Lisa und Isa in kurzem Abstand hinterher, glitten mit den Fingerkuppen an den Wänden entlang und ließen Eis aus sich strömen.
Nach knapp zehn Minuten wurde das Licht am Ende des Tunnels zu schwach, um noch bis zu ihnen durchdringen zu können. Mittels Taschenlampen erhellten sie den Weg. Die einzigen Geräusche waren das knirschende Zurückweichen der Erde, das knarzende Ausbreiten des Eises und ihre gedämpften Schritte.
Val beobachtete Raven, die nimmermüde neben Charlie die Erdmassen bewegte. Als Erdhexe wusste er um die Kraft, die in den Magnetfeldern der Erde lag. Er konnte mit seiner Magie vieles bewegen – und doch wuchs in ihm neidlose Anerkennung vor dem, was die beiden Frauen mit ihrer Kraft schaffen konnten. Nicht nur sie – auch Isa und Lisa, die scheinbar mit spielender Leichtigkeit Eis erzeugten, ernteten sein heimliches Lob.
„Wir sind fast drunter“, rauntete Charlie über ihre Schulter hinweg. Keine Frage, was sie damit meinte.
Neben Val nickte Basti. „Ich kann es auch spüren.“
Plötzlich verstärkte sich die Geräuschkulisse, der Boden schien nicht mehr so leicht nachgeben zu wollen, denn Raven und Charlie ächzten. Val traute seinen Augen kaum, als er beobachtete, dass sich die Erde wie zäher Gummi verhielt und nur mit sichtbarer Kraftanstrengung der beiden Engel beiseite gedrückt werden konnte. Isa und Lisa blickten sich kurz an und ließen eine extra dicke Schicht auf den gerade geschaffenen Wänden entstehen.
„Wir sind … genau drunter“, stöhnte Raven.
„Ich wünschte, wir könnten helfen“, sagte Chris leise. Er bildete das Schlusslicht der Truppe, nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich. Er hielt die dickste Taschenlampe in der Hand.
Val wollte ihm antworten, doch nach dem nächsten Schritt blieben ihm die Worte im Hals stecken. Seine magische Verbindung zur Erde ließ ihn fast sehen, welches Unheil da auf sie zukam. Die Feuerwand fraß sich durch den Boden, kam auf sie zu, um sie aufzuhalten.
„Schneller!“, keuchte er und machte einen weiteren Schritt. Die auf sie zurasende Hitze konnte er fast spüren.
„Was …“, setzte Isa an. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war erst verständnislos, dann wissend.
„Schaufelt die Erde so schnell ihr könnt, die Flammenwand kommt auf uns zu“, trieb sie die beiden Engel vor sich an.
„Scheiße“, ließ Sam verlauten, der sich zwischen Basti und Val drängte. Drei Mann in dem schmalen Tunnel nebeneinander ging nicht. Val wurde unsanft gegen die eisige Wand gepresst, als Sam sich wie ein Bulldozer zwischen sie schob und – nicht zuletzt dank der glatten Wände – genug Raum bekam, sich durchzuquetschen.
„Musste das sein?“, raunzte Val ihn an. „Isa läuft dir schon nicht weg!“
Er erntete einen bösen Blick. Samuels manchmal besitzergreifende Art mochte eine vampirische Eigenschaft sein, doch noch lange kein Grund, sich wie ein Elefant im Porzellanladen zu benehmen. Es war ja nicht so, als würde Val sich keine Sorgen machen, weil Raven all ihre Kraft aufwandte und sich verausgaben könnte, ehe sie die andere Seite erreicht hatten. Charlie arbeitete mit ihr Hand in Hand – mit deutlich schnellerem Tempo als zuvor. Leichtes Entsetzen packte Valerian, als er erkannte, dass die beiden Frauen sich die Hände aufschürften, weil sie mit aller Kraft schneller einen Durchgang schaffen wollten. Er versuchte, sich zu beherrschen, denn jede Störung könnte sie aus der Spur bringen, was unangenehme Folgern haben könnte. Er spürte es deutlich. Die Hitze näherte sich in einem raschen Tempo und er betete zu den Göttern, dass sie es schaffen würden.
Isa und Lisa brachten eine so dicke Eisschicht an der Schwachstelle unterhalb der Feuerwand an, dass sie nur noch hintereinander durchgehen konnten.
„Wenn das nicht hält, dann weiß ich auch nicht!“, presste Isa zwischen den Zähnen hervor. Ihre Hände waren knallrot von der Kälte. Die direkte Berührung mit dem Eis schien ihr also sehr wohl etwas auszumachen …


Raven sah nur die Erdmassen vor sich. All ihre Konzentration und Kraft war darauf gebündelt, diese so schnell wie möglich zur Seite weichen zu lassen. Sie bemerkte nicht, dass kleine Steinchen ihr die Haut aufritzten. Sie spürte die Schnitte nicht, aus denen kleine Rinnsale Blut austraten und sich mit der Erde vermischten. Was sie spürte, war das drohende Unheil von oben. Das dämonische Feuer bahnte sich seinen Weg zu ihnen herunter. Noch war der Abstand zur Mauer nicht groß genug, dass sie es schaffen könnten. Sie erhöhte das Tempo und bemerkte, dass Charlotte neben ihr mitzog.
Sie mussten es einfach schaffen!
Der Tunnel grub sich Kraft ihrer Gedanken, brachte sie schrittweise nach vorne. Raven wagte nicht, sich umzudrehen um nachzusehen, wie Isa und Lisa vorankamen. Sie vertraute einfach darauf, dass die beiden die Geschwindigkeit mithalten konnten.
Als Chris schrie, wagte sie doch einen Blick über die Schulter. Mit Schrecken musste sie erkennen, dass der Tunnel hinter einer dickeren Eisstelle nachgab und in sich zusammenfiel. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und sie erhöhte das Tempo noch weiter. Sie spürte, dass sie am Rande ihrer Kraft angelangt war und versuchte, auch die letzten Reserven aus sich herauszuholen. Alles, egal was es kosten würde. Denn wenn sie und Charlie versagten, würden sie alle im Tunnel begraben werden.
Sie blendete alles aus. Einzige ihre Hände und die Kraft, die aus ihr herausströmte, bekamen ihre Aufmerksamkeit. Sie sah zwar, dass sie blutete, scherte sich aber nicht darum. Sie mussten hier raus. Charlie schien das auch so zu sehen, denn ohne ein Wort der Absprache ließen sie den Tunnel ansteigen. Sie näherten sich der Oberfläche. Es blieb keine Wahl, sie mussten so schnell wie möglich raus, denn Raven war sich sicher, dass das Höllenfeuer sich nicht damit zufrieden gab, einfach nach unten zu wandern und den Tunnel zu teilen. Es würde sich mit züngelnden Flammen wie Arme nach ihnen ausstrecken, um sie aufzuhalten.
Raven kämpfte gegen die Erschöpfung an, die sich in ihr breitmachen wollte. Mit einem Schrei presste sie alles an Kraft aus sich heraus, was sie noch aufwenden konnte. Plötzlich brach Licht durch die Erde vor ihr. Es blendete sie, weshalb sie die Augen zukniff und zusammen mit Charlie das letzte Stück Erde zurückweichen ließ. Kaum hatte ihr Fuß den Teer berührt, wurde sie beiseite geschoben. Der Rest der Truppe überschlug sich fast, um dem gefährlichen Tunnel zu entkommen. Einer nach dem anderen stolperte durch den Ausgang. Chris und Basti bildeten die Nachhut, sie schoben und zogen sich gegenseitig.
Kaum richtig draußen stütze Raven die geschundenen Hände auf die Knie und versuchte ihren tobenden Kreislauf zu beruhigen. Langsam kam die Ruhe in ihren Herzschlag und die Atmung zurück. Sie musste nicht hinsehen, als sie das Knirschen und rumpeln hörte. Ihr Weg in die Stadt fiel in sich zusammen. Die hohe Wand aus Höllenfeuer stand etwa dreißig Meter hinter ihnen und schien noch ein Stück höher aufzuragen, als zuvor.
„Täusche ich mich, oder war das knapp?“, murmelte Edna.
„Du täuschst dich nicht, das war verdammt knapp! Mir ist fast der Arsch geröstet worden.“ Kaum ausgesprochen, klappte Chris in sich zusammen. Einfach so. Raven pustete sich die Mähne aus dem Gesicht.
„Und ich dachte, wir zwei hätten uns verausgabt …“, sagte sie zu Charlie, die neben ihr verschnaufte.
„Das ist es nicht“, setzte Val an und strauchelte. Ein weiterer Rums folgte – Basti leistete Chris auf dem Boden Gesellschaft.
„Was …?“ Lisa sah verwirrt von einem zum anderen. Sie alle hatten sich kaum von der Panik im Tunnel erholt.
„Die Magie …“, keuchte Val und schwankte nun bedrohlich. Sam und Stephan griffen ihn, ehe seinen beiden Hexenkollegen auf die Erde folgen konnte.
„Scheiße!“, fluchte Edna.
„Es war wohl dumm anzunehmen, dass nur die einhundertelf Hexen, die an der Feier teilgenommen hatten, ihre Kraft eingebüßt haben. Was auch immer sie entzog – es ist noch immer da.“ Samuels Zusammenfassung traf den Nagel auf den Kopf. Nicht eine der drei Hexen hatte Bedenken geäußert. Nicht einmal Val, der über eine große Kraft verfügte, hatte sich zum Magieverlust der Eingeschlossenen geäußert. Sehr naiv. Raven betrachtete ihren Mann, der kraftlos zwischen den beiden anderen Männern hing. Wie hatten sie so blind sein können?
„Ich weiß nicht, was ihr denkt. Aber wir sollten die zwei da aufheben und zusehen, dass wir von der Straße kommen“, warf Charlie ein.

Gesagt getan. Der Trupp kümmerte sich um die beiden Ohnmächtigen und gemeinsam verließen sie die Straße, die entlang der Feuerwand verlief. Die nur schwache Bebauung gab ihnen nicht viel Deckung. Es war ruhig – zu ruhig. Eine beinahe gespenstische Stille lag auf Amsterdam.
Charlie kramte in ihrem Rucksack und zog einen konventionellen Stadtplan hervor. „Da Valerian als Lotse gerade unpässlich ist, werden wir diesen Versammlungsort der Hexen wohl auf die altmodische Weise finden müssen.“
„Stimmt. Aber zuerst sollten wir ein Plätzchen finden, wo wir etwas ausruhen können, ohne auf dem Präsentierteller zu sein.“ Raven ließ den Blick schweifen. Die Häuser standen nun etwas dichter beisammen. Aber in einen Garten zu laufen, erschien ihr dann doch ziemlich unpassend.
„Ich war schon mal hier, ist zwar schon länger her, aber ich kenne diese Straße. Und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, wohnte da vorne eine ganz nette Elfe – eine Freundin der Familie“, ließ Leander verlauten.

Fünfzehn Minuten später quetschte sich die Gruppe in einer Küche zusammen. Leander hatte nicht zu viel versprochen. Die Elfe, deren eigentümlicher Name Farabella lautete, hatte sie eingelassen und setzte im Moment Teewasser auf.
Raven fand, sie unterschied sich in ihrer Art kaum von Matalina oder anderen Elfen, doch ihre Ausstrahlung hatte etwas an sich, was sich nur als Angst deuten ließ. Ihre Blicke wanderten zu schnell hin und her, ihre Bewegungen waren fahrig und obwohl sie beteuert hatte, Leander zu vertrauen, wirkte sie nicht so.
Die ganze Situation war surreal. Während Leander mit Farabella sprach, versuchte Raven Val aufzumuntern. Er wirkte müde, kraftlos und war leicht in sich zusammengesunken. Sein Teint war zu blass und der Glanz in seinen schönen Augen war verschwunden. Die inzwischen wieder aufgewachten, Chris und Basti, sahen nicht besser aus.
„Wir werden das schon schaffen“, raunte sie Val zu und drückte ihn an sich.
Er grunzte nur matt. In gewisser Weise konnte sie nachvollziehen, wie er sich fühlen musste. Sie hatte sich bis an ihre Grenzen verausgabt, um in Rekordtempo diesen Tunnel zu schaffen. Ausgepowert und von einer Erschöpfung befallen, wie sie es seit ihrer Wandlung zum Engel nicht mehr erlebt hatte. Trotzdem war an aufgeben nicht zu denken. Sie hatten es geschafft, sie hatten die Mauer bezwungen und waren in Amsterdam.
„Wir sind ein Team. Wir alle. Wir schaffen das“, sagte sie und küsste ihn sanft. Er erwiderte es kaum.
Verwirrt sah Raven ihn an. Es war weg. Das Prickeln, das leichte Kribbeln zwischen ihnen, das sich aufbaute, wenn sie sich küssten und berührten. Ein Gedanke schob sich ihr in den Sinn. Wenn Valerians Magie dafür sorgte, dass sie sich ergänzten und gegenseitig mit Kraft versorgten, dann hatten sie ein Problem. In dem Moment, als sie das ansprechen wollte, schnappte sie einen Gesprächsfetzen zwischen Farabella und Leander auf.
„Es sind Spiegel. Überall in der Stadt.“
 ...

 Mehr ist es nicht geworden - und so sehr ich die Charaktere alle mochte, lasse ich sie ziehen. Eine Vernunftentscheidung.


2 Kommentare:

  1. heisst das es gibt kein drittes Band??? Das ist aber sehr schade mir gefallen die Bücher sehr gut und ich kann es eigentlich gar net abwarten wie es weitergeht

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  2. Hallo Sabrina,

    nein, leider nicht. Sie wurden nur sehr schlecht angenommen, weshalb ich aus Vernuft auf weitere Bände verzichte. Zeitlich gesehen ist es mir auch kaum mehr möglich, all meine "gewünschten" Schreibprojekte durchzuziehen, denn der Verlag "frisst" einiges meiner Zeit auf. Das wusste ich und ich habe mich trotzdem darauf eingelassen. Ich bitte um Verständnis.
    Gruß
    Sophie

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